Dienstag, 2. Dezember 2008

Heeo!

Eine immer wiederkehrende, wenn auch nur sporadisch-launenhaft wiederkehrende Quelle der Freude ist es ja, dialektale Aussprachen in vermeintlich standardsprachlichen Texten zu erkennen. (hmm, wieviel Prozent der Leser habe ich wohl nach diesem ersten Satz verloren?)

Wie geht das? Ist ganz einfach und kann auch zu Hause selber gemacht werden. Klassische Beispiele finden sich in der klassischen deutschen Dichtung (wir haben ein Wortspiel versteckt, finden Sie's?):

de Göde

Ach, neige, du Schmerzensreiche,
Dein Anlitz gnädig meiner Not!

spricht Gretchen im Faust und wir fragen uns natürlich: Was soll das?
Alles wir klar, wenn man das so ausspricht, wie es de Göde wohl als Frankfordder getan haben wird, alles irgendwie weischer und zärtlischer mit jenem stimmhaften dentalen Frikativ, der in ehemals französisch besetzten Teilen Deutschlands häufiger ist, also wie das "j" in Journal:

Ach neische, du Schmerzenreische,
Dein Antlitz gnädisch meinä Nohd.

Und voilà! Habemus Binnenreim!

der Andere

Der kann das auch. Eher aus Süddeutschland kommend nimmt Schiller es nicht so genau mit den Äs, Ös, und Es, bzw. weiß er gar nicht, dass es da einen Unterschied gibt. (Im Saarland wird z.B. Dörrfleisch immer als Dürrfleisch geschrieben, weil eben beides därrfleesch ist). Das macht es für Polykrates natürlich einfach, Folgendes zu reimen:

Dies alles ist mir viel zu weenisch,
begann er zu Ägüptens Keenisch.

Ich gestehe, dass ich Badener bin.

der aktuelle Anlass

Wiewohl glühende Atheistin, pflegt die Tante sämtliche Weihnachtstraditionen, derer sie nur irgend habhaft werden kann, und singt zum Anzünden der Kerzen am Azvenzkranz:

Freut euch, Ihr Christen!
Freuet Euch sehr.
Schon ist nahe der Herr.

Der Herr? Ja wohl eher der Heer, oder? Bzw. der Heeo. Und so hatte ich gehofft, hier einen nördlicheren, bevorzugt Münsterländischen Dichter, naja: Autor, versteckt zu finden. Doch weit gefehlt: Es stammt von Maria Ferschl, und die wiederum stammt aus Österreich. Und hat da auch die gesamte Lebenszeit ihres Lebens, nun ja, gelebt.

Freuts Earna säa,
schon ist noh der Häa!

Und er hot zehn Deka Powidldatschn mit Brechlingsgselz mitgbrocht.

3 Kommentare:

floxx hat gesagt…

Ich muss gestehen, dieses mal überschreitet dieser Text mein zugegebenermassen eher spärliches Literaturhalbwissen.
Kurz gesagt: Isch verschdehn aarisch wenisch, isch glaab isch bin e keenisch (unter den Blinden. Knick-knack, Sie verstehen?).

Anonym hat gesagt…

dehm Injenör iss nüscht zu schwöhr,
wobei mein persönlicher Favorit ja der alveolare ejektive Frikativ bleibt...

Für alle die sich nun fragen warum gerade der und nicht bspw. der
stimmlose labiodentale, dem sei gesagt der obige ist rot, während
der hier nur blau ist.

die Tante Jensen hat gesagt…

Huch, ist das schön, wie sich die Artenvielfalt wieder auf schönste Weise hier zeigt. Ich musste den alveolaren ejektiven Frikativ ja erstmal nachschlagen und frage mich seitdem, wie man ausgerechnet denn auf den kommt außer durch Studium bsplw. des Turkmenischen. Aber eine schöne Obsession auf jeden Fall, herzlichen Glückwunsch (rätsel, rätsel, wer das denn sein mag).

Nachzutragen sei noch, dass ich natürlich den stimmhaften postalveolaren Frikativ meinte, also den Reibelaut, der hinter dem Zahndamm gebildet wird.

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Aha, Sie sehen das also anders oder auch so? Wie genau?

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