Freitag, 26. November 2010

Das gut recherchierte Lied

Das hier ist schon fast 2 Monate alt, aber man kommt ja zu nix:

Letztes Wochenende war die Tante ja mal wieder aus. Und zwar auf einem verschwenderisch guten Konzert von Leonard Cohen, weil die Tante wissen wollte, wie das ist.

Für alle, die das auch mal wissen wollten, sich das aber nicht leisten konnten oder zu spät davon gehört haben: so ist das:
  • Man sitzt auf Stühlen. Das ist auch gut so, denn der Mann ist zwar 75, spielt aber - mit Pause zwischendrin - 3 Stunden und 15 Minuten.
  • Wenn man 75 braucht man keine große Bühnenshow mehr (nicht, dass er die je gehabt hätte). Leonard Cohen strahlt einfach so aus: so gut wie keine Ansagen, manchmal geht er zu einem der Musiker hin und kuckt / hört den an, während er singt. Und singen kann er halt. Die Stimme ist mit den Jahren.
  • Höhepunkte sind: Er kniet am Anfang fast jeden Lieds. Das hat aber nichts damit zu tun, dass unten auf dem Boden der Spickzettel versteckt ist. Bei So long, Marianne kam er trotzdem raus. Das muss man sich mal vorstellen: jeder im Publikum kann's auswendig, aber er vergisst nach über 40 Jahren den Text. Glücklicherweise vor der Textzeile "You make me forget so very much", dann haben alle was zu lachen.
  • Beim Rausgehen tanzt er ein bisschen.
  • Es ist nicht zu laut. Das kann man nicht genug loben.
  • Sehr gute, viele, aber auch sehr kurze Soli. Kann man auch nicht genug loben.
  • Die Restauration ist von Feinkost Käfer. Es gibt leckere Mayonnaise (leckere Mayonnaise gibt es in Deutschland eigentlich nie - kann man auch nicht genug loben).
  • Es ist nicht zu laut.
  • Das Publikum hält meistens die Klappe - zwar könnten bestimmt alle fast alles mitsingen, aber die Musiker sind wirklich so gut, dass man lieber zuhört.
  • Die Arrangements sind mit den Jahren viel stimmiger geworden - die ursprüngliche Version von First we take Manhattan war grauslich, und Coverversionen z.B. von R.E.M. waren um Längen besser. Die jetzige ist tatsächlich die beste Version. Obwohl alles noch ein bisschen mit Soße überzogen ist. Nie spielt er alleine, um das Stück intimer werden zu lassen. Anscheinend mag er das so. Darf er ruhig.
  • Trotz allem kommt nie Gänsehaut auf, vielleicht auch, weil man nie genau weiß, worum es in den Liedern geht, wer I, You und We (die es tatsächlich fast in jedem Lied alle vorkommen).
  • Fast alles ist genau so wie auf dem Livealbum von 2008 - die gleichen Witze, die gleichen Ansagen, der gleiche Ablauf, fast die gleichen Stücke. Es ist eine perfekt durchkomponierte und durchgeprobte Show. Wenn man das Livealbum gut kennt, ist das etwas enttäuschend. Aber trotzdem gut. Aber eben keine Gänsehaut.
À propos durchkomponiert.



klingt ja im Refrain schon ähnlich wie:



Cohen war aber ein paar Jahre früher dran, und hat auch einen Urheberrechtstreit gegen Sayer geführt. (Aber anscheinend gibt es das Thema auch schon bei Schubert, da wär' ich ja mal interessiert, wie das bei dem klingt). Die Version von Leo Sayer (die er nicht selbst geschrieben hat) hat als fünften Akkord nach dem C G a G nicht das (der Tonart fremde) E wie bei Cohen, sondern löst nach C auf. Der Trick, die Tonfolge e1 d1 c1 h0 nicht auf dem h0 enden zu lassen, sondern mit "away-ay-ay" über a0 auf g0 zu landen, was ja super in einem C-Dur drin liegt. (Hallo Maria im Übrigen!)(Sagt hallo zu Maria, wahrscheinlich hat das außer ihr eh keiner verstanden.) Bei Cohen bricht der Refrain beinahe verzagt / verzweifelt / todtraurig / melancholisch ab, bei Sayer kann man freudig / todtraurig / melancholisch mitschmettern. Spaß mit Akkordfolgen.

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