Mittwoch, 6. April 2011

Ein Fremder

Die meisten Menschen in seiner Welt sind doppelt so groß wie er, und fast alles ist nur auf sie eingerichtet. Er kommt nur an wenige Sachen selbst heran, und muss für das meiste fragen. Er kann auch de meisten Dinge nicht selber öffnen, selber tragen oder selber benutzen. Das muss immer jemand anders für ihn machen. Und oft geben sie ihm das, was er am dringendsten haben möchte, nicht.

Er versteht auch wenig von dieser Welt. Er versteht die Sprache zu großen Teilen nicht, und die Menschen um ihn herum verstehen auch ihn oft nicht. Er versteht nicht, wie die meisten Dinge funktionieren, wozu man sie braucht, dass man sie braucht. Und wenn er mal denkt, dass er etwas verstanden hätte, wird ihm oft gesagt, dass er es nicht verstanden hat und alles ganz anders ist.

Er ist auf die anderen Menschen angewiesen – ohne sie würde er sterben. Sie müssen ihm zu Essen und zu Trinken geben. Das versteht er auch, und es macht ihm Angst. Sie könnten ihn verletzen oder töten, wenn sie wollten. Das versteht er auch, und es macht ihm Angst. Sie müssen aufpassen, dass er sich nicht verletzt, dass er nicht krank wird. Das versteht er nicht, und es macht ihn wütend. Wenn er endlich etwas kann, wird es ihm oft verboten. Weil es zu gefährlich sei. Dabei können die anderen doch alles. Dann können sie doch auch dafür sorgen, dass es nicht gefährlich ist. Doch das machen sie nicht. Er denkt, sie wollen das nicht.

Dafür wollen sie ständig irgendwas anderes von ihm. Er soll schlafen, wenn er spielen möchte. Er soll aufstehen, wenn er im Bett liegen möchte. Er soll irgendwo hin gehen, wenn er bleiben möchte. Er soll wildfremde Menschen, die viel größer und stärker sind als er, ohne weiteres vertrauen. Er soll Essen, wenn er keinen Hunger hat. Er soll still sein, wenn er Singen möchte. Er soll lieb sein. Er soll nicht stören.

Kein Wunder, dass er sich manchmal schreiend auf den Boden schmeißt und alle schlagen, beißen und treten will. Das ging mir wohl auch so, wenn ich erst drei Jahre alt wäre.

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